Barbara Heinisch: Berlin 1986

AUS MEINEM TAGEBUCH 1986

AUS MEINEM TAGEBUCH

Heute streben viele zu ihrer individuellen „Ganzheit“ hin, das heißt,
sie wollen Kopf und Körper zusammenziehen, ihre „Zerrissenheit“ überwinden.
Diese Menschen versuchen es meistens mit Körpererfahrungstraining und Meditation.
Sie versuchen, sich selbst positiv anzunehmen.
Wenn diese Personen Künstler sind, stehen sie häufig vor großen Problemen:
wie bringen sie z.B. Stimme und Malerei zusammen? Plus gute Körperarbeit?
Ihr Ziel ist, daß sie aus ihrem ganzheitlichen Empfindungsbedürfnis heraus
ihre Kunst entwickeln wollen.
Diesen Ansatz für sich betrachtet finde ich gut und wichtig; nur,
welchen Stellenwert hat dabei die Kunst? Welchen Zweck erfüllt sie,
beschreibt sie nur noch die körperlich-seelischen Zustände des Produzenten?

Für mich ist Kunst der festgehaltene Augenblick, in welchem der Künstler Kontakt
mit seinem eigenen göttlichen Funken aufgenommen hat und diesen bewusst,
meist unbewusst zeichenhaft in eine vom Menschen erfahrbare Form bannt.
Wenn wir „Ganzheit“ anstreben, wollen wir Gott nahe sein. Wir können dies nur,
wenn wir in dem Bewusstsein der göttlichen Gnade leben. Das heißt,
wir sind und bleiben Menschen, sterblich und vergänglich.
Unsere Körper sind Durchgangsstationen eines höheren Willens.

Die Aufgabe des Menschen besteht darin, dem göttlichen Willen zu dienen.
Der wahre Künstler ist letztlich ein Diener Gottes. Seine Werke und Taten
beschreiben und verkünden alles, was vorhanden ist, das Sichtbare und
das Unsichtbare, das „Gute“ als auch das „Böse“.
Diese sind menschliche Begriffe, die in der Unendlichkeit keine Rolle spielen.

Alles ist gut, sagt der Optimist und der Pessimist verkündet das Gegenteil.
Ich sage keines von beidem.Für mich ist die Liebe die größte Kraft,
welche fähig ist, aus Hässlichem „Schönheit“ zu zwingen.
Der liebende Blick des Künstlers befreit den Zustand,
das Chaos in der Welt und führt es zu seiner eigentlichen Form,
zu seinem ihm innewohnendem Ordnungsprinzip.

Kunst in Bewegung | Malerei als Ereignis