Bernhard Kerber 1984

Prof. Dr. Bernhard Kerber, Kunsthistoriker

Junge Kunst in der BRD
Auszug aus der Rezension von Bernhard Kerber in Art International, XXVII/1984

...Barbara Heinisch verschmilzt Aktion/Performance und Malerei im einheitlichen Schaffensprozess. Aktion bezeichnet die Atelierarbeit allein mit dem Modell, ungeplant und experimentell, Performance meint die vorstrukturierte Aufführung. Ein Parameter vorausgeformter Details schafft Raum für optimale Spontaneität. In Doppelperformances beflügeln Barbara Heinisch und andere Künstler einander.

Barbara Heinisch malt auf Nessel, hinter und gegen den Modelle agieren., deren Bewegungen in etwa abgesprochen sind. "Ich male mit den Hände, den Fingerspitzen und dem Pinsel. Ich male mit dem ganzen Körper und bewege mich entsprechend zum Modell." Rasch fixierte Bewegungsphasen überlagern einander. Zeit und Raum treten ins Bild und gewinnen trotz ausdruckssteigernder Korrekturen lebendige, expressive, ja furiose Offenheit. Der Malakt hat einen Drive, der Prozess steigert sich, von kontrollierenden Pausen unterbrochen; sit venia verbo: er erklärt die Person. "Der Anspruch des Dauernden, in sich Ruhenden und Endgültigen wird nicht von mir gestellt. Eher hat das Bild zur Ausgangsbasis das Drängen der Akteure nach Veränderung des eigenen, gerade im fertigen Moment erreichten Zustandes – im zeichenhaft sich selbst setzen". Dies Zeichenhafte, Heraldische kann durch körperbetonte Symmetrie gesteigert werden.

Ursprünglich wurde der Leib der Akteure direkt überspannt, später konnte die Leinwand frei in der Mitte des Raumes stehen, das Publikum sich im Kreise darum versammeln und so zwei Kunstformen gleichzeitig erleben.

Intensives Verhältnis der Akteure zu ihrem Körper ist Barbara Heinisch wichtig. Nie erstarrt die Bewegung zur Pose, vielmehr erhält sie sich den lebendigen und variierenden Ausdruck. "Die Bilder sind Spiegel meines inneren Zustandes, ebenso Spiegel der Gefühle und Überlegungen der Modelle, die individuell nach den ihnen adäquaten Äusserungen drängen." Die Bilder sind personale Körperportraits, nicht Körperidealisierungen im Sinne der Aktmalerei, nicht Haut. Der Andere als Subjekt wird mit grosser Ernsthaftigkeit respektiert.

So wandelt sich die traditionelle Beziehung Künstler-Modell gleich Subjekt-Objekt. Wir haben hier zwei Subjekte, zwei Aktivitäten allerdings unterschiedlicher Dominanz. "In meinen Aktionen... steht die Kommunikation im Vordergrund. Meine Beziehung zu ihm, meine Zuwendungsbereitschaft wird zur Gestalt, zur Form durch die Malerei." "Ich möchte in meiner Arbeit zeigen, dass das Miteinander mehr bringt als das Gegeneinander."

Die Identität des Akteurs mit sich selbst ist von besonderer Bedeutung, "denn Ziererei erscheint, wie Sie wissen, wenn sich die Seele (vis motrix) in irgendeinem anderen Punkt befindet als in dem Schwerpunkt der Bewegung, sagt Kleist im "Marionettentheater". Begleitende Musik fördert über rhythmische Einstimmung diese Identitätsfindung.

"Die real vorhandene Erotik der Modelle wird von mir auf die Leinwand durch die real vorhandene Erotik der Farben übertragen und gestaltet." "Eros bedeutet Leben, aus der erotischen Nähe zum Anderen entwickelt sich Leben." "Malen kommt nicht von Kunst, sondern von Liebe", sagt Barbara Heinisch. Das Malen auf lebendiger Leinwand zielt auf Eros, der den Sexus übersteigt. Hier wird nichts zur Schau gestellt. Alles atmet dezente, ja keusche Intensität.

Im Finale sprengt das Modell meist die Malfläche, lässt sie zurück wie nach einer Verpuppung (Schmied), Geburt (Ohff), oder wie im Abdruck auf dem Schweisstuch der Veronika. Zerstörung wird Befreiung und Epiphanie. Die Verletzung der Bildfläche kann aggressive Züge annehmen. "Der Moment, wo das Modell die Leinwand aufreisst, ist gewaltsam, und wenn es dann hervortritt, ist es ein Erlebnis für alle – eine Transformation, ein Akt des Sichzeigens, des Sich-Äusserns."

Barbara Heinischs Arbeiten sind nicht dominierender Selbstausdruck der Künstlerpsyche, nicht kaptativ, vielmehr choreographierter Körperausdruck des Modells. Auf neuartige Weise ist die Leinwand Hinterlassenschaft einer Aktion und doch vollwertiges Bild. Die Leinwand ist vermittelnde, objektivierende Instanz für alle Beteiligten, ganzheitlich schliesst sie Sinnliches und Zerebrales zusammen, uniert ursprüngliche Dualismen. Das Bild ist nicht Relikt der Aktion, sondern dessen Summe. Identität von Werk und Person.

Jörn Merkert betont, "dass dieser existenzielle Akt die Einsamkeit des Künstlers durchbricht, weil er uns unverstellt, direkt angeht, unsere Existenz berührt, anrührt, bewegt, aufwühlt, vielleicht in Frage stellt, vielleicht eine vergrabene, vergessene Hoffnung in uns wieder entstehen lässt. Dieses Wiedererstehen kann der eine oder andere zutiefst Betroffene auch als eine innere Wiederauferstehung des eigenen Selbst erleben ... Ernst Bloch sagt: "Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst."

Barbara Heinischs Arbeit thematisiert die Notwendigkeit der Emotionen, "das Extreme, das Zerreissen, die Finsternis", aber diese verselbstständigen sich nicht orgiastisch. Wie im Stierkampf wird das Dionysische gebändigt, ritualisiert. Apollo tritt in seine Rechte. Erst die Einheit der Götter konstituiert Kunst im Sinne Nietzsches. Der qualitative Sprung vom Subjektiven ins Objektive, vom Elan vital zur Form ist die besondere Norm. Der Interpret vermutet, dass dieser Umschlag sich rationalem Diskurs in dem Masse entzieht, wie apollinisches Denken dionysisches Leben nicht fasst; er möchte sich allerdings davor hüten, sein methodisches Defizit zum Kunstcharakter zu hypostasieren. Es ist vielmehr so: diese Malerei fordert von der Wissenschaft methodisches Umdenken. Barbara Heinisch sagt: "Ich bin dann glücklich, wenn mir ein Bild gelingt, das ohne illusionistisch zu sein, doch einen transformierten Zustand zeigt, also einen Zustand, wo der Mensch auf eine andere Ebene gehoben wird - , von einer Transzendenz, von einer Leichtigkeit und einem Glück, und von Licht, von Schweben."

In dem schon zitierten "Marionettentheater" schreibt Kleist: "Wir sehen, dass in dem Masse, als in der organischen Welt die Reflektion dunkler und schwächer wird, die Grazie darin immer strahlender hervortritt. Doch so, wie sich der Durchschnitt zweier Linien, auf der einen Seite eines Punktes, nach dem Durchgang durch das Unendliche, plötzlich wieder auf der anderen Seite einfindet ... so findet sich auch, wenn die Erkenntnis gleichsam wieder durch ein Unendliches gegangen ist, die Grazie wieder ein, so dass sie, zu gleicher Zeit in demjenigen menschlichen Körperbau am meisten erscheint, der entweder gar keins oder ein unendliches Bewusstsein hat, d.h. in dem Gliedermann, oder in dem Gott."

Vitalismus und Reflexion, Einführung und Abstraktion, versöhnen sich also. Apollo und Dionysos fallen in eins. Die Ereignisse haben eine kathartische Funktion.

Wenn Artaud bemerkt: "To know that passion is material, that it is subject to the plastic fluctuation of the material, makes accessible an empire of passions that extends our sovereignity", so würde Barbara Heinisch dies vermutlich akzeptieren, ohne aber mit Artaud Irrationalismus zu propagieren, denn im Gegensatz zu Artaud hält sie Kommunikation für sozial konstitutiv, Kommunikation, deren fundamentale Medien – und hier liegt wieder ein Verbindungspunkt – der eigene Körper und die Verhaltensformen sind. Und sie würde wohl auch Susan Sontags Sätze über Artaud akzeptieren: "Unfehlbar verknüpft er seine Bewusstseinsutopie mit einem psychologischen Materialismus: der absolute Geist ist zugleich absolut fleischlich ... Bei seinem Kampf gegen jegliche hierarchischen oder bloss dualistischen Bewusstseinsvorstellungen behandelt Artaud seinen Geist ständig als sei er eine Art Körper."

Mit den Thesen Batailles gemeinsam hat diese Kunst den Begriff der Verausgabung, ja die Bejahung der tragischen Wurzeln des Menschlichen. Souveränität ist definiert als sich verschwendendes Selbstbewustsein, als Altruismus. Es gilt, affektive Ereignisse zu produzieren; jede Empfindung wird angereichert, bis sie den Körper, der sie erlebt, das Subjekt, das sie als sein eigen erkennt, entgrenzt und übersteigt (vgl. Carrière zu Kleist). "Der Massstab des Schenkens ist für Bataille das Kriterium, mit dem er das Denken des <Weisen> von einem Denken scheidet, das zu Erkenntnissen führt ... In der Schlüsselfrage hat sich Bataille, während er sich von Hegel entfernte, Nietzsche nahe gesehen." "Das Schenken stellt keinen Ersatz dar, es sublimiert nichts ... Es ist eine Bewegung, die aus sich selbst heraus begriffen werden muss und ihren Grund in dem hat, was sie ermöglicht: eine erotisch verfasste Wirklichkeit." "Entscheidend an der souveränen (affektiven) Kommunikation ... ist nicht, dass etwas mitgeteilt wird, sondern dass man sich selbst, seine Intimität mitteilt, dass man sich verausgabt. Nur durch solche Verausgabung, die identisch ist mit dem affektiven <change>, der affektiven Besetzung der Worte, Gesten und Dinge, entsteht die Partizipation an einer kollektiven Souveränität" (Bischof).

Foucault hat dieses Denken, das Bataille mit Nietzsche teilt, den Begriff einer Philosophie der nicht-positiven Bejahung geprägt: "Sie gleicht nach ihm der Philosophie, die Blanchart als die der permanenten Infragestellung bezeichnet hat. Der Begriff, der dem Begriff der dionysischen Bejahung bei Nietzsche und dem Begriff der Verausgabung bei Bataille entspricht, meint eine Bejahung der furchtbaren Wahrheit, die bei Nietzsche der Silen ausspricht und die im Namen von Arbeit, Vernunft und Fortschritt verdrängt, in Optimismus umgelogen wurde." " Nach Foucault ist die Philosophie der nicht positiven Bejahung dadurch charakterisiert, dass sie die Erfahrung des Göttlichen (Nietzsche) oder der Souveränität erneut in dem Raum des Denkens einführt, nicht mehr länger als Vorbehalt einer transzendenten Welt, sondern im Namen der Endlichkeit als deren <entfernten Teil>. Bataille stellt die These auf, dass die Souveränität in dem Masse an die Kunst fällt, in dem sie aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit verschwindet" (Bischof)...

Kunst in Bewegung | Malerei als Ereignis